NeuseelandJacinda Ardern feiert Erdrutschsieg

Neuseeland / Jacinda Ardern feiert Erdrutschsieg
Krisenmanagerin Jacinda Ardern holte die absolute Mehrheit für ihre Sozialdemokraten  Foto: AFP/Marty Melville

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In den vergangenen drei Jahren wurde Neuseelands Regierungschefin Jacinda Ardern zur Krisenmanagerin: Sie musste eine Terrorattacke, einen Vulkanausbruch und die Pandemie bewältigen. Ihren Einsatz dankte das Volk ihr nun mit einem klaren Sieg – obwohl es Kritikpunkte gibt.

In Neuseeland haben die Sozialdemokraten unter Premierministerin Jacinda Ardern einen Erdrutschsieg gefeiert. Sie erhielten fast 50 Prozent der Stimmen. Die Oppositionspartei – die Nationale Partei – kam nur auf rund 27 Prozent. Politische Kommentatoren nannten es ein „Blutbad für die Konservativen“. Die Grüne Partei schnitt mit etwa acht Prozent gut ab. Ebenfalls mit im Parlament sitzt die libertäre Partei ACT New Zealand. Die rechtspopulistische Partei New Zealand First, die bisher zusammen mit Arderns Labour Partei und den Grünen die Regierungskoalition gebildet hatte, knackte die Fünf-Prozent-Hürde dagegen nicht mehr.

Im proportionalen Wahlsystem Neuseelands braucht eine Partei 61 der 120 Sitze des Parlaments, um die Regierung zu bilden. Arderns Labour Partei kommt wohl auf 64 Sitze und kann damit ohne Koalitionspartner regieren – ein historischer Sieg. Doch politische Beobachter vermuten, dass Ardern die Grüne Partei auch weiterhin einbinden wird. Ardern, die während ihrer Siegesrede zunächst Maori sprach, appellierte an den Zusammenhalt der Neuseeländer: „Wir leben in einer polarisierten Welt … Ich hoffe, Neuseeland hat bei dieser Wahl gezeigt, dass wir so nicht sind“, sagte sie.

Neben der Parlamentswahl stimmten die Neuseeländer auch über das Thema Sterbehilfe und die Legalisierung von Marihuana ab. Die Ergebnisse dieser Referenden werden aber erst Ende Oktober feststehen. Eigentlich sollten die rund 3,8 Millionen Wahlberechtigten bereits Mitte September an die Wahlurnen treten. Doch nachdem Neuseelands größte Stadt Auckland wegen neuer Corona-Fälle einen zweiten Lockdown überstehen musste, wollte Ardern den Oppositionsparteien eine faire Chance geben und verschob die Wahl um vier Wochen.

Der Wahltag selbst verlief ruhig: Traditionell dürfen neuseeländische Nachrichtenmedien am Wahltag selbst nicht mehr über den Wahlkampf berichten, auch die Parteien müssen alle Kampagnen einstellen. Jacinda Ardern beschäftigte sich deswegen am Samstag damit, Käse-Scones an freiwillige Helfer auszuliefern, während die konservative Oppositionsführerin, Judith Collins von der Nationalen Partei, sich eher ruhig verhielt. Auf diese Weise soll jede Einflussnahme am Wahltag verhindert werden. Die Wähler begrüßen die Ruhe bei der Stimmabgabe normalerweise und twittern am Wahltag statt politischer Parolen Hundefotos vor den Wahllokalen.

Drei schwierige Jahre bewältigt

Jacinda Arderns Sieg ist insofern bemerkenswert, da sie vor der vorherigen Wahl 2017 noch mehr oder weniger unbekannt gewesen war. Den Parteivorsitz der Labour Partei hatte sie gerade mal sieben Wochen vor der Wahl übernommen, als ihre Partei in den Umfragen quasi chancenlos war. Doch die charismatische Politikerin löste eine Begeisterung im Volk aus, die die lokalen Medien „Jacindamania“ betitelten. Trotz dieser Jacinda-Euphorie gewannen 2017 die Konservativen noch knapp die Wahl. Doch ihre Stimmen reichten nicht aus, um die Regierung zu bilden. Das Zünglein an der Waage wurde damals der Rechtspopulist Winston Peters, der mit den Stimmen seiner Partei Ardern an die Spitze der Regierung beförderte.

In den drei Jahren, die folgten, hatte die jüngste Regierungschefin Neuseelands – Ardern war 37, als sie ihr Amt antrat – eine Feuerprobe zu bestehen: Die junge Sozialdemokratin, die während ihrer Amtszeit auch noch Mutter wurde, musste eine Terrorattacke, einen Vulkanausbruch und die Covid-19-Pandemie bewältigen. Ardern meisterte die Tragödien mit viel Empathie, die die Menschen einte und ihr weltweites Lob einbrachte.

Auch die Corona-Krise handhabte Neuseeland bis auf einen Rückschlag in Auckland so gut wie kaum ein anderes Land der Erde. Ardern führte ihr Volk – das sie ihr „Fünf-Millionen-Team“ nannte – mit täglichen Briefings und viel mentaler Unterstützung durch einen der strengsten Lockdowns der Welt. Seit Anfang Oktober gilt das Land – das weniger als 2.000 Infektionen und 25 Todesfälle meldete – als Corona-frei. Laut einer Umfrage von Bloomberg Media war Neuseelands Reaktion auf die Coronavirus-Pandemie die beste der Welt – noch vor Japan und Taiwan.

Politische Versprechen nicht völlig eingelöst

„Ardern ist eine Meisterin der Krisenkommunikation“, sagte der deutsche Neuseeland-Experte Oliver Hartwich, der in der Hauptstadt Wellington den Thinktank „The New Zealand Initiative“ leitet. Er kritisiert jedoch, dass die politische Bilanz der vergangenen drei Jahre nicht ebenso gut ist wie das Krisenmanagement der Politikerin: Das Ziel, 100.000 Häuser zu bauen, sei verworfen worden (600 wurden bis August gebaut), die Kinderarmut sei heute verbreiteter als noch vor drei Jahren und die Binnengewässer seien nach wie vor nicht saniert.

Stephen Levine, ein Politikprofessor an der Victoria Universität in Wellington, prangert dies auch an, doch trotzdem findet er: „Im Großen und Ganzen hat die Premierministerin versucht, ihre politischen Versprechen einzuhalten.“ Er nennt dabei die Überprüfung des neuseeländischen Steuersystems, die Erhöhung des Mindestlohns und das Verbot von Schnellfeuerwaffen nach den Anschlägen von Christchurch.

Ardern selbst gestand in ihrer Siegesrede ein, dass es in den kommenden drei Jahren viel zu tun gebe, damit sich das Land wieder von der Covid-19-Pandemie erhole. „Dies ist unsere Chance, eine Wirtschaft aufzubauen, die für alle funktioniert, weiterhin menschenwürdige Arbeitsplätze zu schaffen, Armut und Ungleichheit zu bekämpfen und all die Unsicherheiten und schweren Zeiten in einen Grund zur Hoffnung und zu Optimismus zu verwandeln.“