Bejubelt in der Welt, in Neuseeland kritisiert – die Bilanz von Jacinda Ardern ist durchzogen

In Neuseeland wird am Wochenende gewählt. Premierministerin Jacinda Ardern hat einen härteren Stand, als es ihr globaler Kultstatus vermuten lässt.

Esther Blank, Sydney
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Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern steht keine einfache Wiederwahl bevor.

Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern steht keine einfache Wiederwahl bevor.

Hagen Hopkins / Getty

Wenn die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern ihre 1,3 Millionen Followers auf Facebook direkt anspricht, steigen neben ihrem Bild Tausende Likes und Herzchen auf. Vor allem aus den USA melden sich immer wieder Fans, die davon träumen, so jemanden wie Jacinda Ardern auch im Weissen Haus sehen zu können. Für viele Menschen ist die Frau mit der warmen Stimme und dem breiten Lachen eine Art Anti-Trump geworden. Daher wird der Wahlkampf im fernen Neuseeland auch von internationalen Medien aufmerksam begleitet.

In den drei Jahren ihrer Amtszeit führte Jacinda Ardern ihr Land durch drei grosse Krisen: den Terroranschlag von Christchurch mit 51 Todesopfern, einen tödlichen Vulkanausbruch und die Corona-Pandemie. Das Bild der jungen Premierministerin, die, mit einem Kopftuch bedeckt, Überlebende und Angehörige der muslimischen Todesopfer eines rechtsextremen Terroristen in ihre Arme schloss, ging um die Welt. Anders als viele Politiker in anderen Ländern drückte Ardern nicht einfach schärfere Gesetze durch, sondern ermutigte zu Mitgefühl für die Opfer, einigte ihre Landsleute in Trauer und gemeinsamem Handeln gegen den Hass. Unter ihrer Leitung wurden innerhalb von sechs Tagen strengere Waffengesetze in Neuseeland eingeführt.

Als einige Monate später bei einem Vulkanausbruch auf einer kleinen Insel 21 Menschen starben, war Ardern aktiv an der Rettungsaktion für 26 Überlebende beteiligt. Dann brach die Corona-Pandemie aus, und die Premierministerin schaffte es mit einem zweimonatigen strengen Lockdown und geschlossenen Grenzen, das Virus unter Kontrolle zu bekommen. Fast täglich wandte sich Ardern über ihr Handy direkt an die Bevölkerung – ihr «Team von 5 Millionen», wie sie es nennt.

Ohne Skript und Make-up, so wie man es von Gesprächen mit Freunden und Familie gewohnt ist, sprach Ardern ihren Landsleuten Mut zu und beantwortete geduldig Fragen – oft von der Couch im Wohnzimmer, im Trainingsanzug. Dabei wurde sie auch einmal von ihrer kleinen Tochter unterbrochen. Gleichzeitig kürzte sie sich und ihren Ministern die Gehälter für sechs Monate um zwanzig Prozent und zeigte damit Solidarität mit der neuseeländischen Bevölkerung, die unter den wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns litt.

Kaum ein Ziel erreicht

Die ungewöhnliche Krisenbewältigung hat Jacinda Ardern weltweit populär gemacht. Anfangs waren die Neuseeländer stolz darauf, dann wurde ihnen das viele ausländische Lob peinlich. Seit Monaten spricht ihre Premierministerin daher kaum noch mit ausländischen Medien und konzentriert sich ganz auf ihre heimischen Wähler.

Das hat sie auch nötig. Die Premierministerin habe in drei Jahren kaum eines ihrer ursprünglichen Ziele erreicht, meint der Wirtschaftsexperte Oliver Hartwich vom Think-Tank The New Zealand Initiative. So habe sie über zehn Jahre 100 000 Wohnungen und Häuser bauen wollen, um die Wohnungsnot im Land zu lindern. Doch nach drei Jahren stehen nur 600 Wohnungen. Von einer geplanten Bahnlinie in Auckland gebe es noch keine Spur, und auch bei der Erreichung eines ihrer Hauptanliegen, die Kinderarmut in Neuseeland zu beseitigen, habe sie versagt.

Auch die Unternehmerin Angela Payne von Agri-Lab Co-Products aus der ländlichen Umgebung von Hawkes Bay ist nicht gut auf die Premierministerin zu sprechen. Wegen Arderns Erhöhung der Mindestlöhne auf 18 neuseeländische Dollar 90 (knapp 11 Franken 50) könne sie heute nur noch 6 anstatt wie zuvor 22 Angestellte beschäftigen. Angela Payne hofft auf einen Wahlsieg der konservativen New Zealand National Party unter Judith Collins, die Unternehmer wie sie besser verstehe, Sozialleistungen einschränken und Steuern senken wolle.

Auf der anderen Seite kritisieren Umweltschützer und der linke Flügel von Arderns eigener Labour-Partei, dass die Regierungschefin in ihren ersten drei Regierungsjahren beim Umweltschutz zu wenig weit gegangen sei. Auch die Kluft zwischen Arm und Reich sei unter ihrer Führung nicht deutlich kleiner geworden. Die wirtschaftlich benachteiligte Maori-Minderheit bemängelt, dass Gelder für sie nach dem Giesskannenprinzip verteilt worden seien, ohne ihre Lebenssituation wirklich zu verbessern.

Bitte um drei weitere Jahre

Jacinda Ardern ist sich offenbar der Kritik bewusst. Auf ihren Wahlkampfveranstaltungen bittet sie ihre Landsleute um weitere drei Jahre, um nach der Corona-Pandemie geplante Reformen durchsetzen zu können. Ardern hofft auf einen klaren Sieg ihrer Labour Party. Das würde ihr ermöglichen, ohne den bisherigen konservativ-populistischen Koalitionspartner New Zealand First und die Tolerierung durch die Grünen zu regieren. Vor allem junge Frauen könnten ihr das gewünschte Ergebnis verschaffen, sagt die neuseeländische Fernsehreporterin Kerryanne Evans. Diese seien nach wie vor von ihrer Premierministerin begeistert: «Sie sehen, was eine junge Frau wie Jacinda Ardern erreichen kann, das gibt ihnen Hoffnung für die eigene Zukunft.»

Ardern und ihre konservative Konkurrentin Judith Collins liefern sich im Wahlkampf in der Sache harte Debatten, aber ohne persönliche Angriffe und die Ausfälle, die die fast gleichzeitig laufende Debatte der Präsidentschaftskandidaten in den USA in ein hässliches Chaos versinken lassen. In einem wichtigen Punkt sind sich die beiden Parteichefinnen gar einig: Beide wollen die strenge Corona-Politik Neuseelands mit geschlossenen Grenzen fortsetzen.

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