EU oder Königreich?

Australien und Neuseeland haben traditionell enge Bande mit dem ehemaligen Mutterland Grossbritannien. Doch mit dem Brexit müssen diese wie auch die EU-Beziehungen neu geknüpft werden.

Patrick Zoll, Broome
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(Bild: Dan Himbrechts / Keystone)

(Bild: Dan Himbrechts / Keystone)

Dass die ehemaligen Kolonien Australien und Neuseeland eine besondere Beziehung zu Grossbritannien haben, zeigt sich in den Flaggen der beiden Länder, die jeweils den Union Jack enthalten. Die Neuseeländer haben erst im März in einem Referendum bestätigt, dass sie diese symbolische Verbundenheit aufrechterhalten wollen. Im politischen Alltag wurden die Beziehungen zwischen Canberra und Wellington auf der einen und London auf der anderen Seite in den letzten vier Jahrzehnten jedoch vorwiegend von Brüssel geprägt.

Zu unwichtig für Brüssel

Mit dem Beitritt Grossbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1973 wurden zum Beispiel die bilateralen Handelsabkommen hinfällig. Vor der Brexit-Abstimmung von letzter Woche setzten Canberra und Wellington darauf, mit der EU Freihandelsabkommen abzuschliessen. Beide Prozesse, die nicht direkt miteinander verknüpft sind, hängen nun in der Schwebe. Man ist sich in Down Under schmerzhaft bewusst, dass die EU nun dringendere Probleme haben wird, als Abkommen mit Ländern zu schliessen, die nur 1,2% und 0,2% des Handelsvolumens der Union ausmachen. Selbst mit Taiwan oder Algerien treibt die EU mehr Handel als mit Australien.

Kommt dazu, dass die EU-27 für Australien und Neuseeland weniger attraktiv ist, als sie es mit 28 Mitgliedern war. Denn Grossbritannien nimmt in der Handelsstatistik beider Länder mit Abstand den wichtigsten Platz aller europäischen Partner ein. 40% des Handels, den Australien mit der EU treibt, betreffen Grossbritannien. Von den exportierten Dienstleistungen, die heute einen Fünftel ausmachen und für Australien immer wichtiger werden, gehen gar die Hälfte ins Königreich. London dient vielen australischen Unternehmen dank den sprachlichen, historischen und gesellschaftlichen Banden als Sprungbrett für den Rest Europas; ein massgeblicher Teil des australischen Handels mit Grossbritannien hat als Ausgangs- oder Endpunkt ein anderes EU-Land.

Canberra und Wellington sahen in London auch einen Fürsprecher in der EU, der für den freien Handel eintritt. Neuseeland, wo Fleisch- und Milchprodukte mit Abstand die wichtigsten Exportgüter sind, spürt den Agrarprotektionismus der EU besonders stark. Während die Verhandlungen mit der EU eher schwieriger werden dürften, könnte hingegen der Weg zu einem bilateralen Freihandelsabkommen mit London einfacher werden. «Denn in Grossbritannien gibt es ja keine französischen Bauern», sagt Oliver Hartwich vom Wirtschafts-Think-Tank New Zealand Initiative. Wellington habe grosse Erfahrung in der Aushandlung von Freihandelsabkommen, sagt Hartwich. Dies zeige sich zum Beispiel darin, dass Neuseeland sowohl mit der Volksrepublik China als auch mit Hongkong und Taiwan solche geschlossen habe. London, das seine Handelsdiplomatie über Jahrzehnte an Brüssel abgegeben hatte, fehle dieses Know-how. Neuseeland könnte dem ehemaligen Mutterland hier technische Hilfestellung leisten, indem man als erstes ein neuseeländisch-britisches Freihandelsabkommen schliesse.

Sowenig die Brexit-Befürworter auch aufgezeigt haben, wie Grossbritannien sich ausserhalb der EU positionieren soll, so liessen sie doch vereinzelt durchblicken, dass das Commonwealth eine stärkere Rolle erhalten solle. Boris Johnson sei ein starker Befürworter des Commonwealth, sagt Hartwich, der den ehemaligen Bürgermeister von London persönlich kennt. Der Ukip-Chef Nigel Farage entschuldigte sich jüngst in einem Interview gar bei den Neuseeländern dafür, dass Grossbritannien sie 1973 habe fallenlassen. Drei Viertel der neuseeländischen Exporte gingen damals nach Grossbritannien; mit dem Eintritt Londons in die EWG brachen diese ein. Das Land brauchte 20 Jahre, um sich vom Schock zu erholen.

Neuverhandlungen nötig

Einfach zurück zur Zeit vor dem britischen EU-Beitritt wollen Australien und Neuseeland nicht. Beide Länder haben ihre Wirtschaftsbeziehungen deutlich diversifiziert − wenn auch die Abhängigkeit von Grossbritannien teilweise durch eine Abhängigkeit von China abgelöst wurde. Die Freihandelsabkommen mit London müssen von Grund auf neu aufgebaut werden. Die alten Abkommen, die 1973 erloschen, sind völlig obsolet. Die Premierminister von Australien und Neuseeland, Malcolm Turnbull und John Key, haben erklärt, dass sie wo möglich auch gemeinsam vorgehen möchten.

In Australien hat der Brexit womöglich auch innenpolitische Auswirkungen, denn am Samstag werden beide Kammern des Parlaments gewählt. Turnbull, ein ehemaliger Banker, präsentiert sich als erfahrener Steuermann für die Wirtschaft in stürmischen Zeiten. Diese Woche zeigen die Umfragen erstmals seine Koalition in Führung. Vielleicht beeinflusst der Entscheid der Briten auch Politikerschicksale viele tausend Kilometer entfernt.